Ulrich
van Aaken

Gutachten/Taxate

Veitshöchheim, 23.10.1995

Gutachten Bechstein-Flügel

Berechnungsmodelle zur Wertermittlung eines gebrauchten Bechstein-Flügels

Sehr geehrter Herr …,

bezugnehmend auf unser heutiges Gespräch möchte ich noch einmal die verschiedenen Berechnungen zur Wertermittlung erläutern.

Der zur Disposition stehende Flügel (InstrumentenNr: 164.511) ist 22 Jahre alt. Er gehört zu den drei Spitzenfabrikaten: Steinway & Sons, Bösendorfer und C. Bechstein, deren Instrumente auf dem gleichen klavierbauerischen Niveau anzusiedeln sind und deren Preisgestaltung vergleichbar ist. So wird man heute für den gleichen Flügel etwa DM 85.000—90.000 bezahlen müssen.

Die Kalkulation des Händlers, der immer bestrebt ist, ein fabrikneues Instrument zu verkaufen (bei einem gebrauchten Instrument trägt er allein das Risiko der Garantieleistung, zudem ist sein Gewinn bei einem neuen Instrument wesentlich höher), orientiert sich in unserer Branche an der:

Bewertungstabelle für gebrauchte Instrumente zum Zweck der Ermittlung des Zeitwertes

Diese Tabelle wurde vom europäischen Fachverband der Klavier-bauer (er heißt ebenfalls wie die Zeitschrift »EUROPIANO«) herausgegeben. Darin werden die Instrumente in fünf Güteklassen eingeteilt und aufgrund des Alters Prozentpunkte vergeben, die die Minderung der Gebrauchtin-strumente gegenüber der aktuellen Produktion ausdrücken.

In dem der Tabelle beigefügten Berechnungsbeispiel ist auch noch von den erforderlichen Vorbereitungsarbeiten für den Wiederverkauf die Rede, die dazu dienen, den Flügel als überholtes und technisch-optisch einwandfreies Gebrauchtinstrument anbieten zu können.

Kalkulationsbeispiel für einen Bechstein-Flügel
(221 cm, schwarz poliert, 22 Jahre alt)
Aktueller Verkaufspreis 1995 (ungefähr) ca.  DM 90.000,–
abzgl. MwSt. ca.  DM 13.000,–
abzgl. Transport (vom Kunden in die Werkstatt)   DM 1.000,–
abzgl. 1 TA (Tagesarbeit) für Polyesterarbeiten (2 Füße)   DM 1.000,–
abzgl. 1 TA (Tagesarbeit) für Technische Durchsicht   DM 1.000,–
    DM 74.000,–
abzgl. 60 % Minderung für Gebrauchtstatus
(lt. Tabelle für 22 Jahre und Stufe 5)
  DM 45.000,–
  ca.  DM 30.000,–

Dieser Betrag deckt sich in etwa mit den damaligen Anschaffungskosten im Jahre 1973. Ähnlich verhält es sich mit den beiden anderen Fabrikaten. Allen gemeinsam ist eine kontinuierliche Preissteigerung von 5—6%. Wenn im oben genannten Beispiel nicht exakte Beträge genannt wurden, so liegt das daran, daß man bei Gebrauchtinstrumenten die Preise nicht auf DM 2—5 Tsd. genau festlegen kann.

»Erschwerend« und »verkaufshemmend« kommen für den Bechstein-Flügel noch zwei Gesichtspunkte hinzu:

1. Es handelt sich eben doch nicht um einen Steinway-Flügel, der in Händler- und Musikerkreisen höheres Ansehen genießt, sondern »nur« um einen Bechstein. Entsprechend wenden einige Händler bei einem Bechstein auch nicht die höchste Stufe 5 an, sondern legen die Wertminderung ein paar Prozentpunkte nach oben, also etwa auf 70% (75% sind es bei Stufe 4), wodurch sich ein Endbetrag von ca. DM 23.000 ergibt. Selbst wenn man den aktuellen Preis auf DM 100.000,— festlegte, ergäbe sich bei der 70-Prozent-Berechnung immer noch ein aktueller Wert von nur ca. DM 25.000. Man muß einen Händler bei seiner Kalkulation auch ein klein wenig verstehen, denn schließlich ist bei solch einem Ankauf keinerlei Neuverkauf (also vergleichbar der Inzahlungnahme eines Gebrauchtwagens bei der Anschaffung eines Neuwagens) im Spiel.

2. Die Länge von 221 cm ist bei einem Privatverkauf problematisch. Viele potentielle Käufer schätzen den erforderlichen Platzbedarf falsch ein und nehmen von solch einem »großen« Instrument, das ja schon zur Kategorie der Konzertflügel gehört, Abstand, obwohl es nur geringfügig länger ist als die Flügel der sog. Orchesterklasse.

Mir scheint es fair zu sein, wenn man die genannte BDK-Tabelle mit der höchsten Qualitätsstufe 5 zugrunde legt und von einem Preis von DM 30.000 ausgeht. Dadurch schließt sich auch der Kreis zu der im Instrumentenhandel bewährten Formel, daß man beim Verkauf von Spitzenfabrikaten auch nach jahrzehntelanger Nutzung immer noch den Preis erzielt, den man bei der Anschaffung dafür bezahlt hat.

Gewiß ist bei einem Verkauf an Privat ein höherer Preis zu erzielen. Darin stimmt der Instrumentenmarkt beispielsweise mit dem Automarkt überein, weil hier z. B. die (herausgerechnete) Steuer entfällt. Aber der Privatkäufer genießt keinen Schutz bei Garantieleistungen und hat sonst auch keinen Fachmann als Ansprechpartner.
Auch spielt der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle: man wird den Flügel auf jeden Fall an eine Privatperson verkaufen können, muß sich unter Umständen allerdings 2—3 Jahre gedulden, weil ein so großes Instrument doch schwerer zu verkaufen ist. Zudem muß man bedenken, daß sich bei einem Privatverkauf mit jeder Mark, die der Flügel gegenüber dem Händlerangebot von DM 30.000 teurer wird, auch die Chancen auf einen schnellen Verkauf verschlechtern.

Wenn dann erst einmal »finanzielle Schallmauern« durchbrochen sind (z. B. DM 40.000), denken viele potentielle Käufer auch über die Anschaffung eines fabrikneuen Instrumentes einer anderen Preiskategorie nach und sind damit als Kunden verloren.

In der Hoffnung, Ihnen mit meinen Angaben gedient zu haben, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen

Ulrich van Aaken


Bewertungstabelle für gebrauchte Instrumente

Minderung in %

Jahr Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Stufe 4 Stufe 5
1 37 32 32 32 32
2 40 35 35 35 33
3 45 40 40 40 34
4 50 45 45 40 35
5 55 50 50 40 36
6 60 55 55 45 37
7 65 60 60 50 38
8 70 65 65 55 39
9 90 70 70 60 40
10–15 100 75 75 65 50
16–20   80 80 70 55
21–25   90 85 75 60
26–30   100 90 80 65
31–35     100 85 70
36–40       90 75
50       95 80
60       100 90
70         100


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