Ulrich
van Aaken

Fachartikel

Fachzeitschrift "europiano", 1986

Beeinflußt die Zarge den Flügelklang?

Ulrich van Aaken (Mitglied des BDK)

Der Produktionsablauf im Flügelbau ist normalerweise ein Werdegang von innen nach außen: Resonanzboden und Raste werden verbunden, die umleimte Gehäusewand verleiht dem Instrument seine endgültige äußere Gestalt.

Es gibt aber auch die umgekehrte Reihenfolge (von außen nach innen), bei der man den Resonanzboden in die fertige Zarge einpaßt. Diese wird aus laminiertem Hartholz hergestellt, d. h. die einzelnen Massivschichten liegen ausschließlich in Längsrichtung. Nach dem Biege- und Verleimvorgang stehen die Enden der Zarge nicht in Spieltischbreite parallel, sondern näher zusammen, so daß sie mit erheblichen Kräften auseinandergespreizt werden müssen, damit Stimmstock und Kämpfer eingefügt werden können. Die Zarge macht dies nicht ohne Auswirkungen mit: sie »sträubt« sich gegen die von außen zugeführten Kräfte, indem sie an ihrer schwächsten Stelle — das ist die Mitte der normalerweise geraden Längswand; dort kann man eine leichte Wölbung nach innen beobachten — nachgibt. Außerdem verbleibt sie in einem inneren Spannungszustand.

Nun treibt man bestimmt nicht diesen Herstellungsaufwand ohne konkrete Absichten; und daß diese Absichten größtenteils im klanglichen Bereich liegen, ist beim Musikinstrumentenbau anzunehmen, wenn sich nicht ohnehin schon das akustische Resultat dieser Bauweise einen überzeugenden Argumentationsrespekt verschafft hat.

Die schwere Zarge beeinflußt durch ihre Kräfte das Schwingungsverhalten des Resonanzbodens und sorgt für seine Wölbungsstabilität. Dabei stelle man sich die Zarge nicht als passive Umrandung des Bodens, sondern als dynamische Komponente vor: bei dem Bestreben, wieder ihre ursprüngliche Form einzunehmen, setzt sie den Resonanzboden permanent unter Spannung, faltet ihn gewissermaßen auf und sorgt so dafür, daß der Boden stets fest eingespannt bleibt und nicht die Möglichkeit bekommt, sich nach den Seiten hin zu »verbreitern«, also flach zu werden oder gar »durchzuhängen«.

Es soll hier nicht etwa die Konstruktion ohne Spannungszarge für den Wölbungsverlust des Resonanzbodens verantwortlich gemacht werden; dafür bieten sich zunächst einmal »gewichtigere Verursacher« an. Aber es dürfte einen Erklärungsversuch wert sein, warum bei den Instrumenten mit Spannungszarge völlig flache Resonanzböden nur äußerst selten auszumachen sind. Es scheint, als begünstigten die Zargenkonstruktionen, die dem Resonanzboden (er ist ja durch den Druck der Saiten selbst belastet) nicht ausreichende Kraft entgegensetzen, ein Nachlassen der Bodenwölbung, indem sie mit geringfügigen Gehäusedeformationen reagieren. Man sollte entsprechende Instrumente einmal daraufhin untersuchen.

Der besonders gearbeitete Steg »unseres« Instruments dient der Zargenkonstruktionsidee: seine (ebenso laminierten) Massivstreifen stellen keineswegs Zierrat, wie mir ein Kollege zu erklären versuchte, sondern den durchdachten Teil eines akustisch-statischen Konzeptes dar; das Laminat sichert die Maßhaltigkeit des Steges, die stehende Anordnung des Holzes (Profileffekt!) unterstützt den Resonanzboden in seiner Wölbungscharakteristik und sorgt für eine durchgehende und nicht von Leimschichten unterbrochene Übertragung der Saitenschwingungen auf den Resonanzboden. Auch die Spannungen der Platte, die über eine auf Zug (!) belastete Schraube dem Diskantabschnitt der Zarge zugeführt werden, dürften für die Klangcharakteristik der hohen Lage mitverantwortlich sein. (Die Teiltonstruktur ändert sich, wenn man diese Verbindung löst.)

Das komplexe Spannungsfeld der Zarge stützt sich auf innere Kräfte, die keine Verstärkung von außen benötigen, wie dies eine Flügelbaufirma dadurch versucht, daß sie ihre Instrumente von unten ringsum mit Metallspeichen versieht, die in der Mitte in einen Gewindekranz zusammenlaufen und dort auch nachgezogen werden können. Diese Anordnung vermag allerdings nicht der Materialermüdung und dem natürlichen Alterungsprozeß entgegenzuwirken. Beides macht auch nicht vor unserer dynamischen Zarge halt. Denn irgendwann lassen auch hier die inneren Spannungen nach, und den Instrumenten fehlt dann etwas, womit sie sich gegenüber der Neuproduktion uneingeschränkt behaupten können. Das ändert sich auch nicht, wenn in diese alten Flügel, die in Musik- und Händlerkreisen nach wie vor hochbegehrt sind, neue Resonanzböden eingeleimt wurden. Dieser Umstand belegt deutlich, daß nicht nur die Güte eines Resonanzbodens allein, sondern auch die der Spannungszarge innewohnenden Kräfte das Klangbild eines Flügels prägen.

Und wenn es abschließend noch eines Hinweises bedarf, könnte man nicht auf jene Instrumentenbauer hinweisen, die bei ihrer schnellen und sicher auch von achtbarem Erfolg begleiteten Bereitwilligkeit, allerlei Details zu kopieren, vielleicht doch die oben dargestellten Konstruktionsprinzipien aus den Augen verlieren oder bewußt einer komfortableren Fertigungstechnologie opfern? Bei einem direkten Vergleich auf höchstem Niveau jedenfalls läßt das Original die Kopie deutlich hinter sich.



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