Ulrich
van Aaken

Gutachten/Taxate

Veitshöchheim, 11.08.1998

Ausführliches Cembalo-Gutachten

Bei dem Instrument handelt es sich um eine detailgetreue Kopie des historischen Cembalos von Giovanni Battista Giusti, Lucca 1681, aus der Sammlung Neupert [Nr. iNe 98] des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. Das Cembalo, eine für den damaligen italienischen Cembalobau typische sog. »false inner-outer« Konstruktion, wurde von dem damals als Restaurator in Nürnberg tätigen Cembalobaumeister Bernhard von Tucher im Jahre 1981 gebaut.

Im Jahre 1983 hatte ich als Gasthörer der Internationalen Bachakademie in Stuttgart zum ersten Mal die Gelegenheit, das Cembalo zu spielen und auch aus der Sicht eines Cembalobauers zu studieren. Damals hat mich die saubere handwerkliche Arbeit und die überzeugende Umsetzung des italienischen Klangkonzeptes bei diesem Instrument veranlaßt, mit Herrn von Tucher zum Thema Instrumentenbau zu korrespondieren. Der wissenschaftliche Anspruch, mit dem die Vorbereitungen zum Bau des Cembalos und die Untersuchungen des historischen Vorbildes erarbeitet wurden, die äußerst aufwendige Detailverarbeitung und vor allem die dadurch erreichte Klangqualität rechtfertigen die hohe Versicherungssumme, mit der das Instrument auf gutachterlichen Vorschlag hin versichert wurde.

Das Schadensbild

Ich habe das Instrument im nachfolgend beschriebenen Zustand angetroffen:

  1. Die Anhangleiste (profilierte Leiste, worin die Anhangstifte zur Aufnahme der Saitenösen verankert sind) hat sich nicht nur von der gebogenen Zargenwand (Leimverbindung) gelöst, sondern ist selbst an mehreren Stellen gerissen. (Schadensbilder 9—11)
  2. Zweifacher Durchriß des Resonanzbodens im Diskant bei den letzten beiden Tönen. (Schadensbilder 9—11)
  3. Das Schaltklötzchen des »Secondo«-Registers (gelegentlich auch als »Nasard«-Register bezeichnet, weil der im Vergleich zum ersten Register kleinere Abstand zum Vordersteg einen nasaleren Klangcharakter zur Folge hat) ist auf der Diskantsaite abgeplatzt. (Schadensbilder 12 und 13; das Bild Nr. 11a zeigt die unbeschädigte Konstruktion auf der linken Baßsaite)
  4. Der Deckel des Instruments ist an der Diskantseite mehrfach beschädigt, ebenso ist die Randprofil-Leiste an mehreren Deckelteilen gelöst (Schadensbilder 1—3 und 6). Ein zu einem früheren Zeitpunkt bereits ausgespänter Schwundriss ist (Bild 3) ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
  5. Die Diskantzarge (auch als »rechte Wange« oder »kurze Wand« bezeichnet) hat sich geringfügig nach außen verschoben, wofür die sichtbare Fuge zwischen der Zierleiste des Stimmstocks und der Zarge ein Beleg ist. Es muß genauer untersucht werden, ob auch die Leimverbindung zwischen dem Stimmstock und der Diskantzarge in Mitleidschaft gezogen ist.
  6. Die auf dem Unterboden verleimte, über die ganze Breite der Klaviatur verlaufende Klaviaturleiste hat sich im Diskantbereich deutlich sichtbar gelöst (Schadensbild Nr. 16). Ebenso gibt es keine durchgehend feste Verbindung zwischen Diskantwange und Unterboden.
  7. Das Gestell ist an mehreren Stellen angebrochen. Die Schadensbilder 18—22 zeigen deutlich die einseitige Druckbelastung, die u. a. zum Aufdrücken der genagelten Holzverbindung (Bild Nr. 20 zeigt die Position der beiden Nägel auf der Traverse) und zur Löslösung der geleimten Zapfenverbindung (Bild Nr. 22 zeigt die herausgerissenen Holzreste am Zapfenteil der Verbindung) geführt haben.

Diese sichtbaren Schäden lassen nach meiner Einschätzung den eindeutigen Schluß zu, daß eine kurzzeitige erhebliche Druck- bzw. Zugbelastung, wie sie z. B. beim Fallenlassen des Instruments auftritt, für den aktuellen Zustand des Cembalos verantwortlich ist.
Die Ausführungen des Kollegen Niedermeyer sind nach meinem Dafürhalten nicht geeignet, Aufschluß über entscheidende Fragen zu geben. Zudem sind sie an einigen Stellen mißverständlich formuliert und bedürfen von daher einer detaillierteren Erläuterung:

a. Unsichtbare Schäden

Die (in meinen Augen) vorschnelle Schlußfolgerung, aufgrund der Stabilität der Eckverbindung könne eine Beeinträchtigung der Stimmhaltung ausgeschlossen werden, läßt vollkommen außer Acht, daß nicht nur allein diese Verbindung (gewissermaßen exclusiv) für die Stabilität des Cembalos verantwortlich ist. Es existieren vielmehr andere (Zargen)-Verbindungen und Holzkonstruktionen im Instrumenteninnern, die ebenso durch einen Sturz in Mitleidenschaft gezogen worden sein können. Diese unsichtbaren Schäden werden in dem Gutachten ebenso wenig diskutiert wie die ohne genauere Inspektion nicht zu kalkulierenden Folgeschäden.

Bevor die möglichen unsichtbaren Schäden im Innern des Cembalos nicht genau untersucht sind, kann man nicht davon sprechen, daß keine Beeinträchtigung der Stimmhaltung vorliegt. Selbst die Reparatur der Anhangleiste bedeutet keine Stimmhaltungsgewähr, weil ein italienisches Cembalo in seiner Konstruktion besondere statische Merkmale aufweist: Die Bauweise eines italienischen Cembalos unter Verwendung dünner Zargen ist äußerst leicht und die Biegung der Hohlwand (immanente Spannung) ist wesentlich größer als beispielsweise bei flämischen oder deutschen Instrumenten.

b. Röntgenologische Untersuchung vor Reparaturbeginn

Bei einem Aufprall des Instruments werden auch nicht unerhebliche Scherkräfte freigesetzt, die insbesondere auf das Resonanzbodenlager, die Knie und die Stimmstockkonstruktion einwirken. Dazu ist es unbedingt erforderlich, das Cembalo vor einem Reparatureingriff (Öffnen des Corpus) einer röntgenologischen Untersuchung zu unterziehen, so wie dies in den Reparaturwerkstätten der Musikinstrumentenmuseen seit vielen Jahren Standard ist.

c. Schäden am Gestell

Die unter Nr. 7 beschriebenen Schäden am Gestell, die einen eindeutigen Beleg für einen Transportunfall darstellen, wurden in dem Gutachten des Kollegen Niedermeyer überhaupt nicht erfaßt. Gerade die einseitige (erhebliche) Druckbelastung, die eine Vernagelung aufdrückt und eine gezapfte Holzverbindung aufreißt, deuten auf ein Aufprallen von Instrument und Gestell hin.

Ursachen der Schäden

Die oben aufgezeigten Schadensbereiche sind in jedem einzelnen Punkt als Folge eines heftigen Aufpralls (vermutlich auf die Diskantwange) zu erklären. Es fällt auf, daß fast alle Schäden im Diskantbereich zu finden sind. Vermutlich ist das Cembalo flach mit der rechten Diskantwange aufgeschlagen. Dabei ist es nicht ungewöhnlich, daß das Cembalo keine Schlag- und Stauchstellen aufweist. Das Instrument ist durch eine schwere Spezial-Transporthülle vor kleineren Beschädigungen geschützt und aller Wahrscheinlichkeit nach mit der vollen Fläche der Diskantwange so aufgeprallt, daß keine Oberflächenbeschädigung eingetreten ist. Die äußerliche Bemalung des Cembalos ist zudem so solide und grundlegend (die verschiedenen Schichten der Oberfläche: Grundierung-Kreidegrund-Lack gehen mit dem Holz und untereinander eine feste Verbindung ein) ausgeführt, daß ein Abplatzen von Farbschichten nicht stattgefunden hat.

Aber selbst wenn es sich bei der Oberfläche um sehr empfindliches und abplatzgefährdetes Material (beispielsweise Polyester) handeln würde, bedeutet ein flaches, unverkantetes Aufschlagen nicht zwangsläufig eine Beschädigung. Bei der Begutachtung von Transportschäden an Klavieren und Flügeln habe ich diesen Umstand häufiger beobachten können. Die Polyesterflächen waren ohne Mangel, wohingegen der aufprallbedingte kurzzeitige »Schock« größeren Schaden angerichtet hat.

Man kann sich die Auswirkungen des Aufpralls folgendermaßen verdeutlichen: Man hält an die Diskantwange einen großes (wegen der Angriffsfläche) und glattes Stück Holz, und schlägt mit einem schweren Hammer oder Fäustel auf dieses Brett. Zwar wird dabei die Oberfläche des Instruments nicht beschädigt, aber die vom Hammerschlag ausgehende Druckwelle (vor allem bei einem so »filigran« gebauten italienischen Cembalo) ist für Auswirkungen verantwortlich, die sich bei unserem Cembalo folgendermaßen bemerkbar machen:

  1. Das Schaltklötzchen des secondo-Registers (Schaden Nr. 3) wird durch die »Druckwelle« glatt abgesprengt. An der Stelle ist keine Schwundfuge sichtbar.
  2. Die Klaviaturleiste (Schaden Nr. 6) löst sich im Diskant. Auch hier ist keine Schwundfuge sichtbar.
  3. Der Deckel wird beschädigt, Das Randprofil (gut sichtbar wieder im Diskant) platzt vom Deckel ab (Schaden Nr. 4). Auch hier sind (ausgenommen ist die ausgeführte Ausspänung) keine Schwundfugen sichtbar.
  4. Die Anhangleiste wird aus ihrer Verleimung gerissen (Schaden Nr. 1) und der Resonanzboden reißt an zwei dicht nebeneinander liegenden Stellen. Die Druckwelle bewirkt eine kurzfristige Anspannung der Messingsaiten, die daraufhin reißen (Schadensbild Nr. 14).
  5. Die Verschiebung der Diskantzarge (Schaden Nr. 5) und die auffälligen Schäden am Gestell sind weitere deutliche Hinweise für einen Transportunfall.

Es ist fraglich, ob durch die notwendigen Reparaturmaßnahmen (nach der unverzichtbaren Röntgen-Untersuchung und der evtl. anschließenden Begutachtung durch sog. Inspektionslöcher) der außergewöhnliche Klangcharakter dieses italienischen Cembalos ohne Einbußen wiederhergestellt werden kann.

Hochachtungsvoll

Ulrich van Aaken



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