Ulrich
van Aaken

Stimmseminare

Arbeitsmaterialien Stimmkurs

Ein klein wenig Theorie …

Bei Instrumenten mit gebundener Tonskala (Cembalo, Klavier, Orgel u.a.) können nicht alle Intervalle gleichzeitig rein sein. Dies läßt sich an zwei Beispielen (Abb. 1 und 3) verdeutlichen:

Abbildung 2 - 12 Quinten verengt kein Komma

Abbildung 3 - syntonisches Komma

Wenn man im Quintenzirkel ausgehend vom A2 12 reine Quinten aufwärts stimmt, erreicht man nominell den Ton a4, der allerdings etwas höher liegt als der durch sieben Oktaven gewonnene Ton. Zwölf reine Quinten passen somit nicht in den Raum, der durch sieben reine Oktaven abgesteckt ist. Die Differenz nennt man das pythagoreische Komma (Komma bedeutet Überschuß).

Gehen wir im Quintenzirkel ausgehend von »f« um vier reine Quinten aufwärts, so erreichen wir den Ton »a«. Zwischen diesem Ton und dem Ton, der zwei Oktaven über der Terz des Grundtons liegt, gibt es ebenfalls eine kleine Differenz, das sog. syntonische Komma.

Diese Beispiele verdeutlichen die Unvereinbarkeit (reine Großterzen passen nicht in Oktaven, reine Quinten ergeben keine reine Terz, reine Quinten ergeben, wenn auch knapp, nicht genaue Oktaven) aller musikalischen Intervalle. Es muß deshalb ein Kompromiß, ein Ausgleich (ausgleichen, vermitteln = lat. temperare) gefunden werden, wie diese Intervalle in eine musikalisch brauchbare Ordnung zu bringen sind.
Unter Beachtung des Grundsatzes, daß die Oktave immer rein zu stimmen ist, bedeutet dies die Notwendigkeit, den Überschuß, das Komma, irgendwie zu vermitteln und aufzuteilen, was auf verschiedene Weise geschehen kann:

  1. Man lädt den gesamten Überschuß einseitig auf ein Intervall, das dadurch unbrauchbar wird (»Wolfsquint«)
  2. oder stimmt einige Quinten rein und verteilt das Komma auf die restlichen Quinten, die dadurch unrein (enger) werden. Man spricht von einer ungleichschwebenden Stimmung, die sich durch besondere Tonartencharakteristik auszeichnet.
  3. oder stimmt vollkommen gleichmäßig, wobei man die leichte Unreinheit aller Intervalle in Kauf nimmt. Hierbei wird das Komma gleichmäßig auf alle 12 Quinten verteilt, wodurch auch die Tonarten vollständig gleich werden, also ohne Tonartencharakteristik. Weil alle Intervalle untereinander gleich unrein »schweben« (gleichmäßig verstimmt sind), spricht man von gleichschwebender oder gleichstufiger Stimmung (unsere moderne »Klavierstimmung«).

Im Stimmseminar wollen wir uns hauptsächlich mit einer ungleichschwebenden Stimmung (Bach-Kellner) auseinandersetzen, bei der das Komma auf fünf Quinten verteilt wird, wodurch die restlichen sieben Quinten rein bleiben. Die Stimmethode ist bestechend einfach, vielfältige Kontrollintervalle führen sicher zum Ziel.

Man beginnt mit dem Ton »c«, den man von der Stimmgabel erhält. Ihm folgen sieben reine Quinten bis zum Intervall H—fis‘, dem besondere Bedeutung zukommt, weil an an diesem Punkt der wesentliche Schritt der Temperatur erfolgt. Man zieht das H derart hoch (Quinte wird verengt), daß die Terz H—dis‘ etwas »entschärft« wird und ungefähr sechsmal pro Sekunde schwebt. Abschließend paßt man in die Terz c‘—e‘ vier wohltemperierte Quinten ein. Dieses Einpassen entspricht der Grundaufgabe, die wir vor dem Legen der Temperatur gründlich üben.

Quintenzirkel



zurück