Blinder Klavierstimmer
16.10.1989
Offener Brief an den Europiano-Präsidenten
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Freude des BDK in diesen Tagen über das 500ste Mitglied ruft bei mir die Erinnerung an weniger erfreuliche Vorkommnisse wach, die von grundsätzlicher Bedeutung sind und folglich in diesem offenen Rahmen dargelegt werden sollten. Es geht um die blinden Klavierstimmer und ihre Rechte, die sich aus ihrer korporativen Mitgliedschaft im BDK ableiten lassen.
Ich finde es zwar bedauerlich, daß sich im Gegensatz zu anderen europäischen Verbänden der BDK bis heute nicht dazu hat durchringen können, die blinden Stimmer als vollwertige Mitglieder in den Verband aufzunehmen, aber auch der jetzige Status der blinden Stimmerkollegen bereitet offenbar einigen BDK-Oberen Verständnisschwierigkeiten.
Auf meine Frage an den Geschäftsführer des BDK, wie es sich mit der korporativen Mitgliedschaft von blinden Stimmern verhalte und ob nicht ihre Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen und Stimmwettbewerben möglich sei, erhielt ich zur Antwort, daß der Deutsche Blindenverband (DBV) bisher immer pünktlich seinen Beitrag bezahlt habe. Man muß dazu wissen, daß die blinden Stimmer im DBV organisiert sind und der DBV wiederum als korporatives Mitglied in den BDK aufgenommen wurde.
Da die Antwort des Geschäftsführers recht dürftig ausgefallen war, so wie man es von einem Volljuristen eigentlich nicht erwartet, mußte ich die Statuten des BDK befragen. Darin ist festgelegt, daß »korporative Mitglieder gleichberechtigt an allen Maßnahmen, die sich aus Art. 3« ergeben, teilnehmen können.
Offensichtlich wird aber beim BDK mit zweierlei Maß gemessen; denn trotz dieser eindeutigen Aussage in den Statuten. die auch für einen Vorstand Gültigkeit haben, war es nicht möglich, zwei in der Ausbildung befindliche blinde Stimmer am Wettbewerb teilnehmen zu lassen, worum ich den BDK ausdrücklich und rechtzeitig gebeten hatte.
Es ging mir seinerzeit um die sich aus der Teilnahme ergebenden Vorteile:
1. eine auf dem Wettbewerb erreichte Punktzahl hat eine hohe und (auch für potentielle Arbeitgeber) verständliche Aussagekraft.
2. die Bedingungen des Wettbewerbs sind für alle Teilnehmer gleich, so daß der (gelegentlich geäußerte) Vorwurf der Begünstigung von Blinden (Behinderten-Bonus) nicht haltbar ist.
3. Möglichkeit der objektiven Überprüfung (»Stimm-TÜV«) von Stimmkenntnissen; der Gründer der Stimmwettbewerbe, Herr Neureither, hat selbst darauf hingewiesen, daß der Gedanke des Wettbewerbs nach seiner Meinung eine nur untergeordnete Rolle spiele.
4. Integration von Kollegen, wie sie beispielsweise in den nordischen Ländern längst vollzogen ist.
Mein Vorschlag war damals auch, eine eigene Wertungsgruppe für blinde Stimmer zu schaffen, um diejenigen, die unbedingt eine Plazierung mit nach Hause tragen wollten, auch zu ihrem Recht kommen zu lassen.
Bedauerlicherweise ließ sich der BDK zur Beantwortung meines Antrages mehrere Monate Zeit und die (negative) Antwort kam auch erst nach meiner ausdrücklichen Aufforderung, in der ich darauf hinwies, daß es bei jeder ordentlich geführten Behörde eine Selbstverständlichkeit sei, wenigstens den Erhalt eines Schreibens kurzfristig zu bestätigen.
Diese arrogante Haltung des BDK gegenüber ordentlichen Mitgliedern (einem Kollegen von mir ist es ähnlich ergangen; er bekam auf ein Schreiben bis heute überhaupt keine Antwort) empfinde ich als stillos und verletzend.
Ich vermag nicht zu entscheiden, ob es einen Kausalzusammenhang gab zwischen dem Zeitpunkt der negativen Antwort und der Tatsache, daß der Stimmwettbewerb, auf den sich meine Anfrage bezog, zu diesem Zeitpunkt bereits stattgefunden hatte.
Die damalige Begründung für die Nicht-Teilnahme der blinden Stimmer spricht aller Fairness und Gleichbehandlung hohn: Man bezog sich auf Zulassungsbedingungen, obwohl diese Bedingungen (z. B. das Alter des Teilnehmers oder die Existenz eines gültigen Ausbildungsvertrages) in einigen anderen Fällen (ich selbst war einmal Nutznießer einer »Ausnahmegenehmigung«) keine Rolle spielten.
Ich finde es bestürzend, daß der Vorstand des BDK den Beschluß einstimmig (so jedenfalls der Wortlaut des Schreibens) gefaßt hat, also auch mit der Stimme desjenigen Vorstandsmitgliedes, das in der Stimmerausbildung für Blinde tätig ist.
Der BDK ist bislang mit zwei durchgeführten Seminaren Nutznießer der Institution gewesen, an der Blinde Stimmer ausgebildet werden: Beide Veranstaltungen, mit nicht unerheblichem Aufwand an Material, Organisation und Zeit (dazu sollte man sich einmal die Kommentare der damals in der Ausbildung befindlichen blinden Stimmer anhören) vorbereitet, wurden erstaunlich schnell schon nach ein paar Tagen vom BDK mit überschwenglichem, schriftlichem Lob kommentiert.
Es ist fast schon nicht mehr nötig zu erwähnen, daß auch diese beiden Veranstaltungen ohne die Beteiligung von Blinden durchgeführt wurden, obwohl Interesse vorlag. Es hätte dem BDK gut angestanden, zumindest für das zweite Seminar, das ohnehin spärlich besucht war, die Anmeldung eines in der Ausbildung befindlichen blinden Stimmers zu berücksichtigen, um damit wenigstens einen kleinen »Wiedergutmachungsbeitrag« zu leisten.
Ist es denn wirklich zuviel verlangt, einen oder zwei blinde Stimmer an Fortbildungsveranstaltungen teilnehmen zu lassen? Andere europiano-Mitgliedsländer haben ihre blinden Kollegen längst als stimmberechtigte Vollmitglieder in ihre Gemeinschaft aufgenommen, wie dies auf Fachtagungen und Messen immer wieder zu beobachten ist.
Ich wünsche mir von Ihnen als Europiano-Präsident, daß es Ihnen gelingt, die von Herrn Fenner so treffend angesprochene Solidarität unter Fachkollegen, eben die »Stimmhaltung« zwischen allen Mitgliedern des BDK — auch den korporativen — wiederherzustellen.
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich van Aaken
Veitshöchheim, 16. Oktober 1989